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Warum wir immer unsere Schwächen beheben … und dies trotzdem ein Fehler ist

Wir alle sind hervorragend im Beheben unserer Schwächen. Woran das liegt?



Wir haben dies in unseren Genen und lernen während unserer kindlichen und jugendlichen Sozialisation, was man nicht machen sollte.


Wir haben gelernt, Fehler zu vermeiden

Wir alle sind hervorragend im Beheben unserer Schwächen. Woran das liegt? Wir haben dies in unseren Genen und lernen während unserer kindlichen und jugendlichen Sozialisation, was man nicht machen sollte.

Eine unserer genetischen Grundinformationen ist es Gefahren wahrzunehmen und zu lernen, wie man diese vermeiden kann. Deshalb prägen sich negative Erlebnisse tiefer und länger in unser Gedächtnis ein. In der Frühzeit der Menschheit waren Fehler in der Einschätzung von Gefahren häufig tödlich und führten zu einer entsprechenden Selektion der Vorsichtigen. Diejenigen, die ihre Schwächen ausmerzten, überlebten.

Zudem besteht frühkindliche Prägung häufig in den vielen Hinweisen darauf, was man als Kind nicht tun und besser vermeiden sollte. Dieses Prinzip wird im Schulsystem standardisiert und formalisiert. Offensichtliche Schwächen werden ausgemerzt. Dies führt für jeden von uns zu einer Fokussierung auf diejenigen Schulfächer, in denen man „nachsitzen“ muss und „Nachhilfe“ braucht. Das Ergebnis dieser Fokussierung auf Schwächen führt zu einer Nivellierung von Leistung und tendenziell zur Priorisierung von Durchschnittsleistung. Neueste Untersuchungen zeigen, dass ich durch die Kompensation einer Schwäche zwar Verbesserungen erziele, aber niemals Spitzenleistungen, sondern nur durchschnittliche Leistungen.

Schwächen werden kompensiert und Stärken weitgehend negiert. Hin und wieder hat dies die fatale Folge, dass Ausnahmetalente nicht erkannt werden und sogar zu Störfällen des Schulsystems werden. Die Folgen für die individuelle Leistungsfähigkeit und Motivation sind gravierend negativ. Durchschnittliche Leistungen machen nun einmal weniger Spaß als außerordentliche Leistungen. Aber nur in den Bereichen der individuell größten Stärken besteht das Potenzial zu außergewöhnlichen Leistungen. Diese werden systematisch verhindert.

Um Missverständnisse zu vermeiden:

Wir sprechen hier nicht von auswendig gelernten reproduzierbaren Lernergebnissen, sondern von intuitiv verfügbaren Talenten. Diese zu nutzen, wäre der alternative Weg Stärken zu stärken, statt Schwächen zu kompensieren.

Aber hier stoßen wir auf das nächste Problem. Die meisten Menschen erkennen ihre intuitiven Talente nicht. Wir bekommen von außen selten Hinweise auf unsere Talente und sind dementsprechend vorwiegend damit beschäftigt unsere Schwächen und Fehler zu vermeiden. Wenn wir unsere Stärken nicht identifizieren, können wir sie in der Regel auch nicht mit Begriffen unserer Sprache ausdrücken. Diese Verbalisierung unserer Stärken ist aber die Voraussetzung dafür, dass ich Stärken systematisch nutzen kann. Der Lernprozess besteht aus Identifizierung, Formulierung und Nutzung. Damit aus Talenten Stärken werden, müssen sie immer und immer wieder genutzt werden. Diese Form von Training und Übung führt zu Exzellenz und Spitzenleistung. Doch dazu haben wir meist zu wenig Zeit, da wir ja mit der Kompensation unserer Schwächen beschäftigt sind.

Diese Erkenntnisse stammen aus der Positiven Psychologie, einem Zweig der Psychologie, der etwa seit 30 Jahren große und zunehmend wichtige Erfolge feiert. Die Protagonisten dieser Bewegung wie Martin Seligman, Daniel Kahnemann, Mihaly Csikszentmihalyi haben nicht nur bemerkenswerte wissenschaftliche Forschungsergebnisse vorgelegt, sondern erzielen nachhaltige Wirkung in vielen gesellschaftlichen Bereichen. So erhielt der Psychologe Daniel Kahnemann den Nobelpreis für Ökonomie, indem er die Auswirkungen des intuitiven Denkens auf Entscheidungsverhalten analysierte und neu interpretierte. Der Psychologe Marcus Buckingham entlarvte drei Mythen, denen wir im Zusammenhang mit der Entwicklung individueller Stärken unterlegen sind.


Mythos 1: Alles ist erlernbar

Er wies erstens nach, dass sich die Persönlichkeit in Bezug auf die sogenannten Basistalente eines Menschen im Laufe seines Lebens nur sehr wenig verändert. Viel mehr werden Talente primär in der sogenannten Sektionsphase (3. bis 15. Lebensjahr) ausgebildet, sind mit etwa 20 Jahren weitestgehend ausgeprägt und verändern sich für den Rest des Lebens nur dann, wenn sie intensiv genutzt werden, indem sie stärker entwickelt werden. Einmal ausgebildete Basistalente gehen nie wieder verloren. Allerdings können sie nur dann zu Spitzenleistungen genutzt werden, wenn sie immer und immer wieder eingeübt werden. Umgekehrt kann man Basistalente, die mit ca. 20 Jahren nicht entwickelt wurden, auch den Rest seines Lebens nicht mehr so ausbauen, dass außerordentliche Leistungen möglich sind. Ein Mensch, dem mit 20 Jahren sozial-emotionale Talente der emotionalen Intelligenz abgehen, wird auch in den folgenden Lebensjahren nicht mehr in der Lage sein, seine emotionale Intelligenz signifikant zu steigern. Umgekehrt kann ein Mensch, der mit 20 Jahren seine analytischen und strategischen Talente identifiziert und systematisch ausbaut, hervorragende wissenschaftliche Leistungen vollbringen.


Mythos 2: Meine Schwächen bieten das größte Potential für persönliches Wachstum

Der zweite Mythos, mit dem sich Marcus Buckingham beschäftigte, besteht in der Vorstellung, dass in den größten Schwächen das größte Wachstumspotenzial liegt. Hier lässt Pareto grüßen. Er postulierte den Grundsatz, dass für die letzten 20 % einer perfekten Leistung der höchste Energieaufwand erforderlich sei. Daher glauben wir, dass wir außerordentliche Leistungssteigerungen im Bereich unserer Schwächen erreichen können. Das sogenannte Pareto-Prinzip gilt aber nicht für die Entwicklung des menschlichen Potenzials. Vielmehr weisen viele Untersuchungen darauf hin, dass Menschen, die ihre Talente erkennen und systematisch durch Übung zu Stärken ausbauen, zu unglaublichen Leistungen in der Lage sind.


Mythos 3: Man muss in allen Bereichen gut sein

Ein dritter Mythos fordert, dass wir generalistisch in vielen Dingen gut sein müssen, um einem Standard zu entsprechen. Dies führt dazu, dass wir uns in vielen Dingen ein Halbwissen aneignen und nur selten unsere Talente ausleben. Gerade die modernen Gesellschaften und Organisationen mit flacher Hierarchie, Offenheit und dynamischer Entwicklung brauchen die Kombination unterschiedlicher hervorragender Talente. Diversität ist das Gebot der Stunde. Im Mannschaftssport hat sich diese Erkenntnis seit langem durchgesetzt. Ich muss meine Talente entdecken und diese auf meiner Position und in meiner Rolle optimal einbringen. Umgekehrt brauche ich nicht auf allen Positionen des Spielfeldes gut zu sein. Gerade, weil kein Teammitglied alles können muss, kann das Team als Ganzes alles erreichen. Moderne Organisationsformen, wie die Holacracy, verfolgen diesen Grundsatz.


Vergiß Deine Schwächen! Stärke Deine Stärken!

Daher ist die Stärkenorientierung für unseren individuellen und den organisatorischen Erfolg ein prägendes und funktionales Prinzip. Moderne Organisationen, die ein dynamisches Prinzip verfolgen wie z.B. die Holacracy oder VIBRANT ORGANISATIONS basieren auf der Stärkenorientierung. Hierzu zählen: HeidelbergCement, Zürcher Kantonalbank, Storck, OBI, MediaMarkt. Daher fordern Organisationsentwickler: „Vergiß Deine Schwächen. Stärke Deine Stärken.“ Damit haben Manager und vor allem HR-Experten Probleme. Zahlreiche Personalentwicklungs programme sorgen ausschließlich für das Beheben von Schwächen. Gerade dadurch finden viele Führungskräfte die Rechtfertigung für Ihre Rolle.

Zunehmend setzt sich aber die Erkenntnis durch, dass diese Denke überholt ist.



Möchtest Du mehr wissen? Hier sind unsere Literatur-Tipps

  • Entdecken Sie Ihre Stärken jetzt! Das Gallup-Prinzip für individuelle Entwicklung und erfolgreiche Führung; Marcus Buckingham, 2007. Link

  • Positive Psychologie in der Führung; Utho Creusen et al., 2014. Link

  • Positive Leadership; Utho Creusen et al.


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