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Warum ich die Holacracy liebe – obwohl sie in Wirklichkeit nichts Neues bietet



Holacracy ist fein. Wie es der Name schon andeutet, handelt es sich um einen ganzheitlichen Ansatz der Führung und Organisation. Ganzheitlich und nachhaltig ist schon mal gut. Es werden verschiedene Perspektiven, Gesichtspunkte und die langfristigen Folgen einer Entscheidung berücksichtigt. Das gefällt allen, die mit dem Phänomen des VUCA zu kämpfen haben. Alle Experten der Organisationslehre bezweifeln zunehmend die Chancen der Beherrschung und Kontrolle in einem Umfeld, das geprägt ist von:

  • Volatility

  • Uncertainty

  • Complexity

  • Ambiguity

Die einzige Lösung ist die ganzheitliche Betrachtung, um möglichst viele Wirkzusammenhänge zu erkennen und zu berücksichtigen.

Unsere Erfahrungen mit Ganzheitlichkeit in Organisationen sind aber nicht immer positiv. Wer viele Betroffene beteiligt, erhält viele Antworten. Diese vielen Antworten müssen bewertet und gewichtet werden. Die Entscheidung für eine dieser Antworten kann Unmut bei den vielen auslösen, deren Wahrnehmungen oder Antworten nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Das führt dazu, dass Entscheidungsprozesse unter Beteiligung Vieler langwierig, mühsam und manchmal frustrierend sind.


Die einzige Lösung ist die ganzheitliche Betrachtung, um möglichst viele Wirkzusammenhänge zu erkennen


Holacracy basiert schon in ihrer Verfassung auf einer Kreisstruktur. Es werden statt hierarchischer Strukturen kleinere und übersichtliche Kreise gebildet, die aus mehreren Rollen bestehen. Diese Kreise agieren weitgehend autonom. In großen Organisationen überschneiden sich diese Kreise nach oben unten und zur Seite.

Das hört sich so kompliziert an, dass man sich zurecht die Frage stellt: Wie kann das funktionieren? Wie werden die Kreise untereinander koordiniert? Ist das nicht wenig effizient, wenn in jedem Kreis die gleichen Aufgaben erledigt werden. Um dieses Problem zu lösen werden in jedem Kreis Rollen eingerichtet und sehr klar definiert.

Die zentralen Rollen der Holacracy sind:

  • Der Lead Link übernimmt für den Kreis die Definition des Purpose. Dieser strukturiert die Governance, auf die wir weiter unten noch eingehen.

  • Der Rep Link repräsentiert den Kreis im übergeordneten Kreis, in den gleichgeordneten Kreisen und in den untergeordneten Kreisen. So entsteht Koordination.

  • Der Facilitator moderiert die operativen Praktiken in den Techtical Meetings, die wir ebenfalls weiter unten erläutern.

  • Der Secretary sorgt für die formalen Aufzeichnungen des Kreises und für die Protokolle.

Jede/r weiß in seiner Rolle, was er/sie innerhalb seines Kreises zu tun hat, was die Verantwortlichkeiten sind und welche Rechte er/sie hat. Dieses Prinzip klingt sehr rigide und ist es auch. Damit wird ein uraltes Prinzip von Organisationen zum Leben erweckt. Das Prinzip lautet, die Kehrseite von Freiheit ist Verantwortung. Wer Autonomie will, muss zuverlässig seine Pflichten kennen und erfüllen. Rechte und Pflichten bedingen einander.


Wer Autonomie will, muss zuverlässig seine Pflichten kennen und erfüllen. Rechte und Pflichten bedingen einander

Im Unterschied zu herkömmlichen Führungsmodellen werden in der Holacracy die Rollen aber gemeinsam und demokratisch erarbeitet und verabschiedet. Dazu dienen eigene Sitzungen, die ausschließlich das Ziel verfolgen,

  • den Purpose (das Ziel der Rolle),

  • die Domains (die Territorien der Rolle) und

  • die Accountabilities (die Verantwortlichkeiten der Rolle)

zu definieren.


Ziel dieser Rollendefinitionen ist die größtmögliche Klarheit und Handlungsfähigkeit jedes einzelnen in größtmöglicher Autonomie innerhalb der Rolle. Dieser Prozess ist aufwändig und beinhaltet die Gefahr der Überbürokratisierung. Andererseits sind Rückfragen darüber, was eigentlich zu tun ist und was das Ziel der Tätigkeit ist, unnötig. Als Folge steigt die Arbeitszufriedenheit und Effizienz.

Per Definition ist dieser Vereinbarungsprozess zunächst vorläufig, wird kontinuierlich weiterentwickelt und endet de facto nie. Organisationsentwicklung ist implizierter Bestandteil des Modells. Wird diese Arbeit gut bewältigt, kann sich jeder Kreis auf das operative Arbeiten konzentrieren. In sogenannten Tactical Meetings – dem Herzstück der operativen Zusammenarbeit - wird durch einen Moderator abgefragt, was jedes Mitglied des Kreises benötigt. Anschließend werden entsprechende Maßnahmen zur Unterstützung definiert und vereinbart.

Der Prozess der Tactical Meetings besteht aus den Elementen:

  • Check In

  • Check List Review

  • Matrix (KPI) Review

  • Project Updates

  • Issues und Decisions

Durch die klare Trennung operativer Besprechungen (Tactical Meetings) und Governance Meetings zur Definition der Rollen wird viel Zeit gespart bei operativen Entscheidungen und bei der Definition der Organisationsstruktur.

Brian Robertson, der „Erfinder“ der Holacracy aus Philadelphia hat mithilfe dieser Systematik Spielregeln der Entscheidungsfindung für Organisationen mit flacher Hierarchie geschaffen. Diese Spielregeln ermöglichen hohe Transparenz und partizipative Beteiligungsmöglichkeiten auch in großen Organisationen und Netzwerken. Durch permanente Anpassung ist ein Wachstum durch Zellteilung organisatorisch gut zu verkraften. Das Phänomen sprungfixer Kosten und der überproportionalen Steigerung von Komplexität wird deutlich begrenzt. Die Steuerung der Organisation geschieht dynamisch durch integrative Entscheidungsfindung. Es werden nicht optimale und grundsätzliche Entscheidungen, die leicht kontrollierbar wären, angestrebt, sondern brauchbare und korrigierbare Vereinbarungen sind die Basis operativ effizienter Prozesse. Dies bedeutet, dass Entscheidungen jederzeit änderbar sind. Keine Entscheidung wird für die Ewigkeit getroffen. Flexibilität und Adaptation sind implizite Wesensmerkmale. Sobald ein Prozess sich nicht mehr bewährt, wird er angepasst.


Und wo gibt es so etwas schon in der Praxis von Organisationen? Viele Non-Profit Organisationen arbeiten damit aber auch das niederländische Pflegeunternehmen Buurtzorg und der US-Amerikanische Online Händler Zappos, aber auch Europace und Einhorn. Auch der neue CEO des Schweizer Pharmaunternehmens Novartis führt Holacracy unter dem Projekttitel „Unboss“ ein. Viele Startups haben sich von Beginn an dieser Idee einer flachen Hierarchie versucht. Das Dresdener Food Startup The Nu Company hat schon zahlreiche positive Erfahrungen mit diesem Modell gesammelt.


Es gibt keine perfekten und kontrollierbaren Lösungen, sondern eine dynamische Steuerung, wie wir sie in der Natur ebenfalls beobachten können. Und genau deshalb ist Holacracy nicht wirklich neu. Wir können die Wirkprinzipien seit Millionen von Jahren in der Natur beobachten.

Möchtest Du mehr wissen? Dies sind unsere Literatur-Tipps

  • Zappos: An Experiment in Holacracy. Bryan Golden, Anusheel Pandey & James S. O’Rourke, 2017. Link

  • Holacracy: ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt. BJ Robertson, 2016. Link

  • Holacracy – A radical approach to organizational design. P Van De Kamp, 2014. Link

  • Beyond the holacracy hype. E Bernstein, J Bunch, N Canner, 2016. Link

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